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GENTLEMAN:Verrückte neue Welt


Gentleman schafft Raum für positive Gedanken – und gute Musik. Davon kann man aktuell nicht genug bekommen.

Von Simone Bauer & Patric Knittel

„Ich mache seit fast 30 Jahren Musik auf Englisch und da fühle ich mich zu Hause.“

„Daher spüre ich auch eine gewisse Verantwortung im positiven Sinne, dass ich oder Musik und Kultur im Allgemeinen einfach bestimmte Situationen erträglicher machen.“


GENTLEMAN

Mad World

(Universal Music)

Erschein am 18. November

In der Vorabsingle, die das Album Mad World und damit ganze zwölf neue Songs von Gentleman ankündigte, dreht sich alles um Entschleunigung: Over The Hills ist eine Hymne darauf, einen Schritt zurückzutreten, die Ruhe und Kraft der Natur zu genießen und zu sich zu kommen. Nach der Wahnsinnskarriere, die der gebürtige Osnabrücker hingelegt hat seit er im Jugendalter Raggae für sich entdeckt hatte und nach Jamaika gereist war, ist wohl der Zeitpunkt gekommen, um durchzuatmen. Nun ist er mit voller Kraft zurück. Dabei schlägt er beispielsweise in Jah Onlysogar fast psychodelische Effekte an und mischt diese mit christlichen Chorälen. Island Breezebringt ein wohliges Meeresrauschen mit. Songs wie Fight No Reason gehen hingegen komplett nach vorne und werden auf Liveshows sicher schweißtreibend werden. Mit yeah! sprach Gentleman über Musik und Privates.

 

Raggae im Jahre 2022. Wie hat sich das Genre gewandelt – wie ist der Status Quo? „Ich weiß nicht, ob sich das Genre an sich gewandelt hat, aber ich beobachte, dass aus Jamaika unfassbar viel gute Musik kommt. Es gibt immer wieder Künstler, die inspirieren. Gleichzeitig sehe ich auch, dass Reggae- und vor allem Dancehall im deutschsprachigen Hip-Hop angekommen sind. Auch in der Pop-Welt sind es inzwischen Dancehall-Elemente, die ganze viele Songs ausmachen.“

 

Mad World ist nach einem Ausflug ins Deutsche wieder in englischer Sprache verfasst. Was genau lässt Gentleman zwischen den Sprachen wandern? „Ich habe damals das Album Blaue Stundeaufgenommen, weil es einfach auf meiner Bucket List stand, mal ein deutschsprachiges Album zu veröffentlichen. Das war ein Herzenswunsch, den ich schon lange gehabt hatte, um einfach mal in den Breitengraden, in denen ich so viele Konzerte spiele - also Deutschland, Schweiz und Österreich - auch in textliche Hinsicht verstanden zu werden. Und ich glaube, mit Blaue Stundehaben mich die Leute noch ein Stück besser kennengelernt; sie haben vielleicht immer den Vibe gefühlt, aber bei den Texten fehlte etwas. Es war aber immer klar, dass ich nicht anfange nur noch auf Deutsch zu singen. Es gibt einfach auch Fans in Costa Rica, in Afrika oder in der Karibik und so und es war klar, dass auf Blaue Stunde wieder ein englischsprachiges Album folgen wird. Es fällt mir auch viel leichter, Songs auf Englisch zu schreiben. Ich finde die deutsche Sprache unglaublich schön, auch was die Bedeutung der Wörter angeht und die Definition. Aber bis die Songs einen gewissen Flow und eine tiefe Seele hatten, das war ganz schön viel Arbeit. Ich mache seit fast 30 Jahren Musik auf Englisch und da fühle ich mich zu Hause. Natürlich ist auch die Chance, auf internationalen Festivals gebucht zu werden größer, wenn man ein englischsprachiges Album produziert. Aber das war jetzt nicht der Grund dafür, zur englischen Sprache zurückzukehren. Und es geht auch nicht um irgendwelche Preise oder Klickzahlen oder um Chart-Platzierungen, sondern am Ende geht es immer um das, was ich fühle. Und das war jetzt wieder auf Englisch.

 

Things Will Be Greater lautet der Titel der aktuellen Single. Wie kann man in einer Zeit, in der täglich neue Hiobsbotschaften im Privaten wie im Öffentlichen auftauchen, positive Kraft schöpfen? Und bleibt die Frage, wie man im Umkehrschluss ein so sonniges Musik-Genre nutzen kann, um einen kritischen Blick auf das Zeitgeschehen zu werfen, ohne die Botschaft zu verwässern. „Ich hatte das Gefühl, dass die Pandemie bald vorbei sein wird und dass uns im Anschluss so eine Art Explosion der Lebensfreude erwartet. Und dann kam der Ukraine-Krieg, die Inflation, die Spannungen zwischen Taiwan und China und schließlich die Energiekrise. Wir stürzen also von einer Krise in die nächste; das hatten wir in dieser Form länger nicht. Und ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich mal wieder ein bisschen tiefer durchatmen muss. Ich brauchte Zeit zum Reflektieren, weil mich auch diese Schnelligkeit, in der wir leben, überrollt hat. Es brodelt gerade überall. Und ich hatte das Gefühl, wenn ich neue Musik machen will, dann brauche ich Abstand, ohne aber die rosarote Brille aufzuziehen, aber einfach Distanz von der Lautstärke, auch vom Stadtleben und der Hysterie, von den Debatten, bei denen es nicht mehr darum geht, einen Konsens zu finden, sondern seine Meinung durchzudrücken. Das war mir alles zu viel. Und dann haben wir uns auf Mallorca eine Finca gemietet und ein Studio aufgebaut. Ich war selbst überrascht von dem positiven Effekt dieses Ortswechsels. Wir hatten auch keinen festen Veröffentlichungstermin vor Augen und daher habe ich die Songs erst einmal für mich selbst aufgenommen. Das hat mir eine gewisse Freiheit und Leichtigkeit gegeben. Und ich glaube, dieses Gefühl ist immer ganz wichtig, um inspiriert zu bleiben. Wir haben uns im Studio eingeschlossen und dann entstand nach einer gewissen Zeit dieser Flow. Ich war selbst überrascht, wie positiv auch die Lyrics wurden. Und natürlich kam dann die Frage auf, ob das überhaupt zum Zeitgeist passt. Aber es ist eben genau das, was Musik machen kann, nämlich Kraft, Hoffnung und Zuversicht geben. Wenn ich zurückblicke, dann sind wir immer aus den Krisen wieder rausgekommen. Auch wenn das jetzt nach einer Floskel klingen mag: In jeder Krise liegt auch eine Chance. Und wenn es eine universelle Sprache gibt, dann ist das eben die Musik. Und wenn Musik eins kann, dann ist es Halt geben und Trost spenden. Und für mich war dann klar, dass es ein hoffnungsvolles Album werden wird, da wir gerade einen Umbruch erleben, der uns vielleicht wieder in bessere Zeiten führen wird. Und auch wenn ich nicht immer eine Lösung der Probleme präsentieren kann, war es mir wichtig, diese Gedanken mit den Leuten zu teilen. Wenn man sich als Zuhörer mit einer Textzeile identifizieren kann, dann fühlt man sich in der eigenen Gedankenwelt nicht mehr so alleine. Eigentlich war dies gar nicht unser Anspruch als das Album entstanden ist, aber es ist auf eine ganz natürliche Art und Weise passiert. Und ich glaube, wenn die Hoffnung, die Zuversicht, die Liebe und das füreinander Einstehen auch noch wegfallen, dann können wir jetzt sofort den Sack zumachen. Daher spüre ich auch eine gewisse Verantwortung im positiven Sinne, dass ich oder Musik und Kultur im Allgemeinen einfach bestimmte Situationen erträglicher machen.“

 

Dass ausgerechnet die Touristeninsel Mallorca zum Ort der inneren Einkehr und kreativen Fokussierung diente, mag verwundern. „Es ging nur darum, einen Ort zu finden, an dem wir unser Studio aufbauen konnten. Ein Ort, an dem Ruhe herrscht und am dem man in die Weite schauen kann. Wir suchten einen Ort in der Natur, ohne Ablenkungen und möglichst nicht zu weit entfernt von Deutschland. Ich kannte Mallorca vorher nicht und war extrem positiv überrascht, wie ruhig und natürlich die Insel ist. Natürlich gibt es auch den Ballermann; ich selbst war da noch nicht, aber der Rest der Insel ist wirklich sehr, sehr ruhig, entgegen aller Klischees. Und die Finca, die wir da gemietet haben, liegt wirklich voll in der Pampa, in den Bergen. Dort konnte man sich wirklich auf das Musikmachen konzentrieren. Und das hat dem Album, glaube ich, sehr gut getan.

 

Lassen wir den Blick auch hinsichtlich der Band-Historie mal in die Ferne schweifen. Es steht nach 30 Jahren ein Bühnenjubiläum an. Ein Grund zu feiern, oder? „Ja, wir sind mitten in der Planung. Deswegen kann ich dazu noch nicht allzu viel sagen. Aber wir sollten an dieser Idee irgendwie festhalten. Im Moment ist geplant, dass wir ein exklusives Konzert spielen, zu dem wir viele Wegbegleiter einladen werden.“  

 

Im TV-Format Sing meinen Song war Mr. Gentleman ebenfalls zugegen. Bleibt dieser Entertainment-Bereich weiter reizvoll für ihn oder stehen andere Pläne an?Ich habe die beiden „Sing meinen Song“-Staffeln sehr genossen. Die Sendung hat auch meinen musikalischen Horizont extrem erweitert. Und es passierte auch in einer Zeit, in der hinsichtlich Musik nicht so viel los war, aber das ändert sich jetzt wieder. Es gab dieses Jahr unglaublich viele Konzerte in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich und ein paar Shows im Ausland. Und nächstes Jahr liegt der Fokus darauf, eher internationale Konzerte zu spielen, also in Amerika, Afrika oder Südamerika. Ich habe auch noch ganz viel, was ich mit meiner Musik zum Ausdruck bringen will. Deswegen ist gerade so ein TV-Format relativ weit weg für mich. Aber ich würde jetzt niemals nie sagen und wenn es von der Energie und vom Zeitrahmen her passt, dann kann ich mir auch vorstellen, wieder die ein oder andere Sendung zu machen.“


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