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Der Brunnen ist leer


Auf Ende nie tänzeln Wanda zwischen Melancholie und Lebenslust.

„Diese Figur und die Musik, die wir machen wollten, entwickelten sich auseinander.“

„Überall sind wir zerstritten und uneins, doch Im Verlust sind wir alle gleich. Der Tod eines oder mehrerer geliebter Menschen ist so etwas wie die Schnittmenge der gesamten Gesellschaft.“


WANDA

Ende nie

(Polydor/Universal)

Bereits erschienen

Text: Steffen Rüth - Foto: Maximilian König

Von Trauer, Trotz und dem Weitermachen nach dem Tod geliebter Menschen handelt Ende nie, das famose sechste Album der Wiener Band Wanda. 

„Die Interviews, die in den letzten Wochen geführt wurden, haben uns an unsere Grenzen gebracht“, offenbarte die Band Wanda aus Wien vor wenigen Tagen. Deshalb würden sich Marco Wanda, Manuel Poppe und Reinhold ´Ray´ Weber nicht weiter gegenüber den Medien zum neuen Album „Ende nie“ äußern wollen. „Es gibt Wunden, die sich nicht so schnell schließen lassen, und das Musikmachen kann eine Stütze sein, aber es kann nicht auf magische Weise Tieferliegendes heilen“, so die Musiker in ihrem gemeinsamen Statement.

Glücklicherweise hatten wir Gelegenheit, ein paar Wochen vor dem Zug an der medialen Reißleine mit Sänger Marco Michael Wanda, bürgerlich Michael Marco Fitzthum, zu telefonieren. Wanda (38) weilte in Berlin, und er nahm sich an einem Samstagmorgen die Zeit. Ursprünglich wollte er schon um 10 Uhr anrufen, merkte dann aber offenbar selber, dass das nicht seine Zeit ist, und bittet um eine zweistündige Verlegung. „Zum Wachwerden habe ich ein wenig Musik aus der Südsee gehört“, erzählt Wanda, dazu habe er einen Kaffee getrunken. Mit Sojamilch. Versucht sich der wilde Herr Rockstar jetzt etwa an einem gesünderen Lebenswandel? Wanda lacht: „Ich versuche, mich beständig zu verändern. Ganz grundsätzlich, in allen möglichen Bereichen. Ich möchte mich für den Rest meines Lebens immer wieder hinterfragen. Aber das heißt nicht, dass ich versuche, mich zu optimieren.“ Schließlich rauche er noch immer, sowohl elektronisch als auch klassisch.  

Das neue Album ist gleichwohl eine Zäsur, es teilt das Leben und Wirken der drei Wanda-Männer in ein „Vorher“ und ein „Seitdem“. Jahrelang schien ja alles so leicht, so unbeschwert. 2012 gründen sie in Wien ihre Rockband, sie wählen ihren Namen als Verbeugung vor Wanda Kuchwalek, der bis heute einzigen namhaften Zuhälterin Wiens, 2014 feiern sie den ersten großen Erfolg mit dem Album Amore und der Single Bologna, ein Jahr später kommt gleich Bussi, bald mit Columbo ein weiterer Hit. Von Beginn an geben die Musiker, damals noch in den Zwanzigern, in jeder Hinsicht Vollgas. Man assoziierte die Wiener mit Exzessen, Gespritzten ohne Ende, überquellenden Aschenbechern und was sonst noch so an Drogen im Rock’n’Roll vermeintlich griffbereit liegt. Die Band hat dieses Klischee auch bedient, das kann man nicht anders sagen. „Mir hat diese Darstellung gefallen“, sagt Marco Wanda, „und den Fans hat es auch gefallen, aber für mich war es immer auch eine Figur, die ich nur dargestellt habe.“ Irgendwann habe er den abgerissenen Rocker in der Lederjacke nicht mehr darstellen mögen, sagt Wanda. „Diese Figur und die Musik, die wir machen wollten, entwickelten sich auseinander.“ Die nonchalante Lässigkeit, dieses spitzbübisch Verspielte und Kokette und auch die Ausschweifungen im Stile der Siebziger-Jahre-Bands konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Männer, während sie ihren Traum vom Rock’n’Roll auslebten, gnadenlos hart arbeiteten und dabei nicht selten mit zumindest einem halben Bein im Burn-out standen.

Dann passiert der größtmögliche Einschnitt. Keyboarder Christian Hummer erkrankt schwer, 2022 stirbt er. Im Frühjahr 2023 muss Marco Wanda außerdem den Tod seines Vaters verkraften. Bei niemand anders, der erste Song auf Ende nie handelt davon, wie er sich noch zu Lebzeiten von ihm verabschiedet. „Ich schrieb es am 3. Januar 2023“, erzählt Wanda am Telefon. „Das weiß ich noch, weil es das einzige Silvester in meinem Leben war, an dem ich keinen Kontakt zu meinem Vater hatte. Es ging ihm schon nicht mehr so gut, und ich wusste, ich werde nie wieder Silvester mit ihm feiern. Also habe ich ganz alleine gefeiert, was ich niemandem empfehlen kann. Den Countdown runter zu weinen, das ist nicht lustig.“

Wanda machen trotz der Schicksalsschläge weiter, „auch wenn wir zeitweise nicht mehr wussten, wo oben und unten ist und ich an vieles aus dieser Zeit gar keine Erinnerung mehr habe.“ Der Autopilot übernahm das Steuer, die Band fuhr einfach mit. Marco: „Gerade weil alles so schrecklich war, mussten wir auf die Bühne gehen und den Menschen Freude machen. Ich hätte es als ungerecht empfunden, uns den Fans zu entziehen.“ Die neuen Lieder, sie gehen tief. Ende nie ist ein anderes, ein sehr berührendes Album geworden. Ernster, reifer, nicht mehr so hedonistisch. Auch leiser. Marco Wanda hat dieses Mal vorwiegend am Klavier komponiert statt an der Gitarre, es schien ihm angemessen. Schön sind diese Lieder trotzdem, auch und vor allem sind sie tröstend. „Überall sind wir zerstritten und uneins“, denkt Wanda, „doch im Verlust sind wir alle gleich. Der Tod eines oder mehrerer geliebter Menschen ist so etwas wie die Schnittmenge der gesamten Gesellschaft.“

In den Texten steckt nicht mehr in erster Linie die ungezügelte Lebenslust, gepaart mit gespielter Wiener Morbidität, sondern Selbstkritik und Selbstzweifel, gelegentlich singt Marco Wanda auch am Abgrund der Selbstverzweiflung entlang, in Fuck YouTube etwa, auch in Therapie, die er natürlich macht, die aber auch kein Allheilmittel sei. Dort, so Wanda, habe er gelernt, sich Zeit zu nehmen, innezuhalten, das Handy wegzulegen. „Aber die stärkste positive Wirkung hat nach wie vor das Songschreiben auf mich. Es macht nicht alles wieder gut, aber es macht in Momenten alles weniger traurig.“ Jetzt jedoch sei er leer geschrieben, der Brunnen müsse sich erst wieder mit neuen Erlebnissen auffüllen, obwohl sich Marco eigentlich „nach ein bisschen mehr Langeweile“ sehnt.

Den Sommer will der Frontmann vorwiegend mit Livespielen und Fußballgucken verbringen. Und mit seinen zwei verbliebenen Bandfreunden. Er sei glücklicher denn je, dass er die zwei habe. Und so ist das hymnische, tiefmelancholische und gleichzeitig so hoffnungsvolle Kein Ende nie der optimale Song, um den Gemütszustand Wandas auf den Punkt zu bringen. „Wir können und werden diese Band nicht beenden“, sagt er. „Dafür liebe ich sie viel zu sehr. Und ich liebe das Leben.“ Beides gehöre für ihn untrennbar zusammen.


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