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Versuch macht klug


Konstantin Wecker genießt das Leben auf der Bühne in vollen Zügen.

„Ich musste mich immer schon mit sehr viel Sturheit und Beharrlichkeit durchsetzen, um meine Lieder und meine Vorstellung von Kunst genauso umsetzen zu können, wie ich das wollte.“

„Ohne die Bühne wäre ich ein Schriftsteller in Einsamkeit. Mein Publikum bewahrt mich vor dem Zynismus.“


 

KONSTANTIN WECKER

Der Soundtrack meines Lebens

(Sturm & Klang/Alive)

Breits veröffentlicht

Text: Steffen Rüth - Foto: Florian Moser

 

Der Münchener Liedermacher, Pazifist und Poet tourt aktuell unablässig mit den Liedern seines Lebens durch die Lande. Nun hat sich Konstantin Wecker etwas Außergewöhnliches einfallen lassen. In der Konzertreihe Der Soundtrack meines Lebens wird der 77-Jährige durch einen großen Gala-Abend führen, bei dem er seine verblüffend zahlreichen Film- und Fernsehmusiken aus den vergangenen gut 45 Jahren präsentieren wird. Die Show, die Wecker im Juli 2023 erstmals beim Tollwood-Festival in München aufgeführt hat, lässt ihn Station machen bei Kir Royal, bei Schtonk, bei Die Weiße Rose, aber auch bei weniger bekannten Beiträgen. Wir unterhielten uns mit dem Musiker über seine Anfänge in der Softpornobranche, seinen Fleiß und die Frage, warum er auch in kniffligen Zeiten die Zuversicht behält.

 

Herr Wecker, wie ist das Befinden?

Sehr gut, nur mein Rücken macht mir noch immer Probleme. Ich habe mir vor einigen Monaten den Rückenwirbel gebrochen. Der ist zwar geheilt, aber die Fehlhaltung macht sich noch bemerkbar. Also gehe ich nachher noch in den Englischen Garten und mache ein paar Übungen.

 

Was für Übungen sind das?

Vor allem gehe ich ohne Stöcke so, als würde ich mit Stöcken gehen. Das Ziel ist, beim Gehen den Oberkörper mitzubewegen. Sieht blöd aus, aber in meinem Alter ist man nicht mehr besonders eitel (lacht).

 

Sie beginnen Ihren großen, dreistündigen Filmmusikreigen Der Soundtrack meines Lebensausgerechnet mit der Musik zum kultigen Softpornofilm Beim Jodeln juckt die Lederhose. Wollen Sie den Leuten damit sagen, kommt, der große Wecker hat auch mal ganz klein angefangen?

Sie wissen ja, dass ich in den meisten Filmen, für die ich die Musik gemacht habe, auch selbst mitspiele? (lacht)

 

Durchaus. Sie machen keine schlechte Figur als junger, bayerischer Liebhaber.

Das war damals mehr oder weniger ein Studentenjob. Und ehrlich gesagt deutlich angenehmer und besser bezahlt als zum Beispiel Möbelpacker. Außerdem war es in den Siebzigern selbst für bekannte Schauspieler wie Heiner Lauterbach üblich, da mitzumachen. Es gab ja kaum andere deutsche Filme. Wenn du überleben wolltest, musstest du Softpornos drehen.

 

Ich stelle mir das an sich ganz lustig vor.

Das war es auch! Die Arbeit hat Spaß gemacht, vor allem nach Drehschluss (lacht). Ich war damals Anfang 20, ungebunden, und die Siebziger Jahre waren eine wilde, lustige Zeit.

 

Die Lederhose kam 1974 raus, aber praktisch parallel haben Sie schon ihr erstes Album Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker veröffentlicht. Vertrugen sich die beiden Karrieren miteinander?

Jedenfalls nicht auf Dauer. Diese poetischen, schönen Lieder von der ersten Platte könnte ich auch heute noch singen. Und einige Jahre später, 1977, kam Willy raus, mein Lied über einen von Neonazis ermordeten Freund, das bis heute bedrückend aktuell geblieben ist. Nun, zu der Zeit kam eine völlig empörte Mädchenklasse zu mir und erzählte, sie sei gerade in London gewesen. Und dort, in Soho, hätten sie ein Sexfilmplakat mit mir drauf gesehen. Sie fragten, wie ich das denn mit dem Willy vereinbaren könne. Anschließend habe ich entschieden, diese Art von Filmen nicht mehr zu machen.

 

Gehören Poesie und Erotik für Sie denn eng zusammen?

Natürlich. Noch besser passen allerdings Poesie und Liebe. Beides lässt sich rational nicht erklären. Die Poesie kommt aus dem tiefsten Herzen. Ich sage meinem Publikum immer, dass meine Lieder immer klüger waren als ich selbst. Genau wie die Liebe sind mir diese Lieder einfach passiert.

 

Das Album Der Soundtrack meines Lebens ist ein Live-Mitschnitt Ihres Auftritts beim Münchener Tollwood-Festival im Juli 2023. Wie erinnern Sie sich an das Konzert?

Ich habe den Auftritt sehr genossen. Jahre hatte ich schon davon geträumt, nun war es endlich möglich, diese Stücke mit Orchester zu spielen. Ich wusste natürlich, dass das eine einmalige Sache ist; umso mehr habe ich mich in die Vorbereitung und in die Show selbst reingehängt. Dabei fiel mir auf, wie unglaublich fleißig ich gewesen bin. Manche dieser Filmkompositionen hatte ich völlig vergessen. Auch meinem Publikum war meine Arbeit als Filmkomponist – abgesehen vielleicht von Schtonk, Kir Royal oder Die Weiße Rose eher wenig bekannt. Sehr spannend war es, diese alten Melodien, die ich vor vierzig, fünfzig Jahren geschrieben habe, wieder aufleben zu lassen.

 

Sie hatten es zunächst nicht leicht, mit Ihren Liedern Fuß zu fassen. Überraschte Sie der Erfolg von Willy?

Ja, sehr. Die Plattenfirmen erwarteten von mir verkaufbare Lieder, allerdings war ich mit meiner harmonischen und melodiösen Musik damals wenig gefragt. Ich weiß noch, wie der Chef meiner Plattenfirma über den Willy sagte: „Geht nicht, zu lang und auch noch auf Bayerisch“. Doch dann wurde das ein richtiger Rundfunkhit – auch, weil ich sehr für den Song gekämpft hatte. Ich musste mich immer schon mit sehr viel Sturheit und Beharrlichkeit durchsetzen, um meine Lieder und meine Vorstellung von Kunst genauso umsetzen zu können, wie ich das wollte.

 

In Die Weiße Rose, einem Ihrer wohl bedeutendsten Filmsongs, singen Sie mit Bezug auf Sophie und Hans Scholl: „Es ging ums Tun und nicht ums Siegen“. Ist das auch ein Lebensmotto von Ihnen?

Ja. Wenn ich immer nur ans Siegen denken würde, hätte ich viele Lieder in meinem Leben wohl nie geschrieben. Mir ging es nie um die Form von Siegen, dass sich ein Lied gut verkaufen muss.

 

Was ist denn Ihre Form des Siegens?

Mein letztes Programm hieß UTOPIA. Utopien sind letztlich Ideen, die nicht verwirklichbar sind. Und trotzdem versuchen wir, das Unverwirklichbare Wirklichkeit werden zu lassen. Dieser Versuch, das ist der Sieg. In meinem Arbeitszimmer hängt seit dreißig Jahren ein Bild von Sophie und Hans Scholl. Die wussten glaube ich auch, dass sie die Nazis nicht besiegen und abschaffen können. Aber sie haben es trotzdem versucht. Für mich als bekennenden Anarcho, der mit siebzehn Jahren Henry Miller gelesen und sehr verehrt hat, war allein dieser Versuch unendlich wertvoll.

 

Die Zeiten für Anarchisten sind nicht einfach. Für Utopisten schon gar nicht. Wie ratlos steht ein lebenslanger Anarcho wie Sie vor unserer Gegenwart?

Ich bin nicht nur Anarchist, sondern auch bekennender Pazifist. Ich bin überzeugt, dass es gerade jetzt besonders wichtig ist, durch Kunst Mut zu machen. Ich spüre auch bei meinen Konzerten, wie sehr das Publikum diese Ermutigung braucht.

 

Wer oder was ermutigt Konstantin Wecker?

Vor allem die Kunst, die Literatur. Bereits als junger Mensch habe ich Die Welt von gestern von Stefan Zweig gelesen, ja aufgesaugt, und mich persönlich sehr gut aufgehoben und verstanden gefühlt in diesen Lebenserinnerungen des großen österreichischen Schriftstellers und Pazifisten. Zweig hat mich in meiner Vorstellung von einer herrschaftsfreien Welt bestärkt, von deren Vorzügen ich nach wie vor überzeugt bin. Vielleicht stehen wir ja tatsächlich am Ende des Patriarchats. Von Caligula bis Trump haben uns gierige, männliche Machtmenschen ins Elend getrieben und uns an einem liebevollen Zusammenleben gehindert.

 

Sie glauben also, dass die Despoten-Generation um Trump und Putin ausstirbt und Platz macht für empathische Staatenlenkerinnen und Staatenlenker?

Für mich sieht das im Moment wie ein letztes Aufflammen aus.

 

Sie haben sich schon früh nach Russlands Angriff auf die Ukraine gegen die Lieferung schwerer Waffen ausgesprochen. Bleiben Sie auch nach über zwei Jahren bei dieser Haltung?

Ich bleibe dabei. Ich bin durch die Kultur des Friedens, der ich seit Jahrzehnten verbunden bin, mit gewaltfreien ukrainischen Widerständlern verbunden, und auch mit russischen Deserteuren, denn die gibt es auch. Ich bin Unterstützer von Connection e.V., einem Verein, der weltweit alle Desertierenden unterstützt. Gerade jetzt ist der gewaltfreie Widerstand so wichtig. Es gibt so viele Geschichten über erfolgreichen Widerstand ohne Gewalt. Ich denke an die tausenden von jüdischen Mitbürgern, die im Zweiten Weltkrieg von couragierten Norwegern gerettet wurden. Aber solche Geschichten liest man aktuell kaum bis gar nicht in der Zeitung. Ich kenne sehr viele gute Journalisten, aber mich erschreckt dieser ständige Aufruf für mehr Waffen und Krieg in der medialen Welt sehr.

 

Es heißt, mit Putin kann man nicht verhandeln.

Ich habe in mehreren Antikriegsmanifesten den verbrecherischen Angriffskrieg Putins gegen die Menschen in der Ukraine scharf verurteilt. Man hätte aber trotz seines völkerrechtswidrigen Krieges auch mit ihm verhandeln müssen – und es vermutlich gekonnt, aber das haben leider auch die US-Regierung und die Nato-Militärstrategen nicht gewollt. Mich erschüttert der Gedanke an die Millionen oder gar Milliarden von Toten, die uns bevorstehen, wenn es zu einer Eskalation, zu einem weiteren Weltkrieg, kommt. Dann war es das hier mit uns.

 

In Deutschland ist in den vergangenen Monaten sehr viel über die AfD gesprochen worden, aber auch über Menschen, die sich für die Demokratie und gegen Ausgrenzung und Hass stellen.

Es ist mir ein Rätsel, wie sich in einem Land wie Deutschland der Faschismus überhaupt wieder in irgendeiner Weise breit machen kann. Wir alten 68er haben eigentlich gute Arbeit geleistet, die Geschichte sichtbar und deutlich zu machen, wir haben Alt-Nazis aus politischen Ämtern vertrieben, und trotzdem erhebt jetzt eine neue Generation ihr Haupt, zu der ich leider auch Giorgia Meloni und Marine Le Pen zählen muss – also Frauen, die in patriarchalen Strukturen denken. Trotzdem finde ich es ermutigend, wie sich die Menschen dem Rechtsextremismus entgegenstellen. Ich bin zum Beispiel begeistert und ermutigt von den „Omas gegen Rechts“, von denen ganz viele zu meinen Konzerten kommen.

 

Jüngst bei der Europawahl waren viele erschrocken, wie gut die AfD bei jungen Leuten abgeschnitten hat. Sie auch?

Nein, das kann ich verstehen. Ich bin oft als Pate der Initiative „Schulen ohne Rassismus“ in Schulen unterwegs und sage den Lehrkräften, dass sie bitte mit ihren Schülerinnen und Schülern von Wilhelm Reichs Buch Massenpsychologie des Faschismus durchnehmen sollen. Reich stellt ganz klar fest, dass der Faschismus einzig und allen auf Mythen beruht, nicht auf Logik, nicht auf Verstand. Und was sind Mythen heute? Fake News. Es überrascht mich nicht, dass eine Jugend, die pausenlos mit dem Handy unterwegs ist, leicht von Fake News und ihren Verbreitern einzufangen ist. Da müssen die Schulen gegenhalten.

 

Und natürlich auch die Kunst. Sie denken sicher nicht daran, sich alsbald zur Ruhe zu setzen, oder?

Ich habe Charles Aznavour als Neunzigjährigen erlebt; er war noch toll bei Stimme. Ein paar Jahre lang möchte ich schon noch auf der Bühne stehen. Gerade in der jetzigen Zeit merke ich, wie wichtig es ist, mit Kunst Mut zu machen und zu ermutigen.

 

Ermutigt Ihr Schaffen auch Sie selbst?

Natürlich. Ohne die Bühne wäre ich ein Schriftsteller in Einsamkeit. Mein Publikum bewahrt mich vor dem Zynismus. Und ich halte es mit Erich Fromm, wegen dem ich damals Psychologie studiert habe, weil ich ihn so bewunderte. Fromm hat gesagt: „Hoffnung heißt, auch an etwas zu glauben, von dem man weiß, dass es zu Lebzeiten nicht verwirklicht werden wird.“


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