From Dresden With Love
„In den Hemden fühle ich mich superwohl, sie sind wie eine zweite Haut geworden.“
„Diese Musik ist wunderbar, um sich mal kurz auszuklingen und die Sorgen zu vergessen.“
PURPLE DISCO MACHINE
Paradise
(Sony)
Breits erschienen
Fotocredit: Dennis Dirksen
Tino Piontek, 44, aus Dresden, ist einer der erfolgreichsten Dance-Musik-Exporteure, die Deutschland jemals hatte. Auf seinem neuen Album Paradise sorgt der Mann hinter Purple Disco Machine nun erneut für allerfeinstes Disco-Feeling, selbst, wenn es draußen immer trüber wird. Wir sprachen mit Tino über sein Doppelleben, seinen Grammy, bunte Hawaiihemden und natürlich über Taylor Swift.
Tino, wo steht der Grammy?
Im Studio. Manchmal laufe ich an ihm vorbei und beachte ihn gar nicht. Dann gehe ich nochmal zurück und schaue ihn mir bewusst an. So ein Grammy strahlt schon etwas Besonderes aus. Mittlerweile hat er auch einen hohen Stellenwert für mich bekommen.
Als du ihn im Februar 2023 für deinen Remix von Lizzos About Damn Time in Los Angeles bekommen hast, hatte er noch keinen hohen Stellenwert?
Sagen wir so: Es war nie so ein Lebenstraum von mir, einmal den Grammy zu gewinnen. Und ich hätte nicht im Traum daran gedacht, ihn wirklich zu bekommen. Wir saßen also im Publikum, meine Frau, mein Manager und ich, und als plötzlich Purple Disco Machine aufgerufen wurde, war ich total verdattert. Ich hatte nicht einmal eine Rede vorbereitet.
Deine kleine Dankesansprache sah aber doch ganz lässig aus.
Das kam zum Glück so rüber. In Wirklichkeit war ich wahnsinnig nervös, auf dieser riesigen Bühne, quasi vor der ganzen Musikwelt, zu stehen.
Du gehörst jetzt zu den Großen dazu. Hast du das verinnerlicht?
Einigermaßen ja. Dieses extrovertierte Leben ist ein Teil von mir geworden. Ich habe mich daran gewöhnt, für drei Tage nach Mexiko zu fliegen und dort auf einem Festival zu spielen. Oder mein neues Album im Pacha auf Ibiza zu präsentieren, einem der berühmtesten Clubs der Welt. Der ganze Laden war in Lila getüncht, vorne stand „Paradise Album Night“. Das sind schon solche Momente, wo du denkst, wie verrückt und wie krass sich das doch alles entwickelt hat. Meine Frau und mein Team waren auf Ibiza mit dabei. In dieser Nacht bin ich mir bewusst geworden, wieviel Glück ich habe. Ich schätze das schon sehr, was ich erreicht habe.
Aber?
Eigentlich entspricht dieses verrückte Leben nicht meiner Natur. Ich bin eher zurückhaltend und introvertiert. Ich bin niemand, der immer den Trubel und zig Menschen um sich braucht. Am wohlsten fühle ich mich in meinem gewohnten, privaten Umfeld mit den Menschen, die ich liebe und mag. Studio und Wohnen sind auch strikt getrennt. Im Studio Musik zu machen, ist wie auf die Arbeit zu fahren.
Gibt es sozusagen zwei Tinos: Den Ehemann mit zwei Kindern in Dresden und den Popstar, der durch die Welt fliegt?
Wenn ich überlege, welches Leben ich mehr brauche, dann ist das definitiv das des normalen Tinos zuhause. Ich mag meinen Alltag. Ich gehe morgens gerne Brötchen holen und verbringe Zeit mit meinen Kindern. Meine Tochter ist zwölf, mein Sohn acht.
Was macht ihr so?
Zum Beispiel ins Stadion gehen, zu Dynamo Dresden. Dort bin ich selbst als Kind oft gewesen, natürlich im Dynamo-Trikot. Diese Tradition versuche ich weiterzuführen. Bis vor einigen Jahren habe ich auch selbst Fußball gespielt, doch nach meinem Kreuzbandanriss letztes Jahr lasse ich das lieber sein. In meinem Alter will ich vernünftig sein.
Kostet es dich Überwindung, auf der Bühne zu stehen?
Das fühlt sich immer noch ein bisschen so an wie eine Konfrontationstherapie. Zugleich bin ich wahrscheinlich sicherer geworden. Wenn ich hinter dem DJ-Pult stehe, das auch eine Art Schutzwall ist, bin ich in meiner Komfortzone. Und auch, wenn es komplett gegen meine Natur ist, auf einem Festival vor 50.000 Leuten zu spielen, kann ich das mittlerweile genießen.
Wie wichtig ist dabei deine äußerliche Verwandlung?
Sehr wichtig. Ich ziehe eines meiner bunten Hemden an und meine Purple-Disco-Machine-Jacke. Das ist fast wie eine Kostümierung. Ich schlüpfe live in eine andere Rolle, werde von Tino zu Purple Disco Machine. In dieser Rolle fällt es mir leichter, meine Extrovertiertheit auszuleben.
Wie hat das mit den Hemden angefangen?
Vor Jahren war ich auf eine Party eingeladen; das Motto war: Serien und Filme aus den achtziger Jahren. Ich ging als Magnum, mit Schnauzer und Hawaiihemd. Irgendwie sah das cool aus. Jetzt kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, einfach im weißen T-Shirt auf der Bühne zu stehen. Aber meine Mutter, die mich nur als den introvertierten Tino kennt, ist noch immer ganz verstört und fragt, wieso ich solche komischen, bunten Hemden anhabe. Privat würde ich auch nie so rumlaufen.
Wo kaufst du deine Hemden?
Ich habe eine Kooperation mit Dolce & Gabbana. Die statten mich aus. Also, in erster Linie geht es mir immer noch um die Musik, aber die Hemden sind tatsächlich ein Teil von Purple Disco Machine geworden.
Kommen die dann zweimal im Jahr mit einem großen Klamottenkoffer bei dir vorbei?
Meistens fliege ich nach Mailand und suche mir was aus. Meine Jacken sind von denen maßangefertigt. Der Anzug, den ich bei den Grammys trug, ebenfalls. Für mich ist das ein Riesenglück. In den Hemden fühle ich mich superwohl, sie sind wie eine zweite Haut geworden.
Deine musikalische zweite Haut ist sozusagen diese euphorische, sehr poppige, sehr positive Grundstimmung, die auch auf deinem Album Paradise wieder prägend ist. Musst du gut drauf sein, um diese fröhliche Musik zu komponieren?
Auch ich habe manchmal schlechte Laune. Die Musik hilft mir jedoch, aus dem Tal wieder rauszukommen. Ich bin keiner, der auch noch traurige Musik hört, wenn er mies drauf ist. Sondern einer, der lieber luftige, leichte, sonnige Songs hört, um sich wieder besser zu fühlen.
War der Albumtitel Paradise von Anfang an gesetzt?
Ja, ich hatte den Titel und die Songs sind so etwas wie der Soundtrack zu diesem Begriff. Sommer, Sonne, gute Laune, Strand, Cocktails, Tanzen – so ungefähr lässt sich das Grundgefühl beschreiben.
Wo ist dein persönliches Paradise?
In meinem Studio. Ich habe ganz bewusst fast alle der Künstlerinnen und Künstler, die auf Paradise dabei sind, nach Dresden eingeladen, um hier mit mir zu schreiben und aufzunehmen. Asdis, Friedrich Liechtenstein, Sophie And The Giants, Jake Shears – sie alle waren hier. Manche sind zum allerersten Mal nach Dresden gekommen, denen habe ich erstmal meine Lieblingsecken der Stadt gezeigt.
Honey Boy ist eine Kollaboration mit dem schwedischen Popsänger Benjamin Ingrosso und dem großen Disco-Helden Nile Rodgers. War Nile auch in Dresden?
Nein, das haute zeitlich nicht hin. Aber wir haben uns mittlerweile kennengelernt. Honey Boy ist der Song, den er bei allen seinen Shows jetzt als letzten spielt, hat er mir erzählt.
Als Nile Rodgers Disco miterfunden hat, warst du noch nicht auf der Welt. Wie bist du mit Disco- und Tanzmusik in Kontakt gekommen?
Mein Einstieg war Italo-Disco. Mein Vater hatte einen Freund, der als DJ beim Seniorentanz arbeitete. Der hat mir damals ganz viele Maxi-CDs gebrannt. Ich denke, den Einfluss von Giorgio Moroder oder Bobby Orlando hört man in meiner Musik bis heute. Zum klassischen Pop, zu Prince, Michael Jackson und all den anderen, bin ich erst später gekommen.
Was gefiel dir gerade an Italo-Disco?
Da ging es wirklich um die Sounds. Die Songtexte waren ja teilweise absurd. Zum Glück verstand ich die nicht, da ich als Kind null englisch gesprochen habe. Ich konnte mich ganz auf die Produktion konzentrieren und fing früh an, diese Lieder regelrecht zu analysieren. Für Paradisehabe ich extra alte Synthesizer ersteigert – fast alle Sounds habe ich mit diesen alten Geräten aufgenommen. Das gibt den Liedern eine Wärme und eine gewisse unperfekte Note, ganz so wie früher der Italo-Disco-Sound.
Du hast auch schon Songs für Dua Lipa oder Kylie Minogue geremixt, die ebenfalls in der Disco- und Dance-Music zuhause sind. Warum erlebt das Genre aktuell wieder so einen Aufschwung?
Weil Disco einfach ein sehr positives Lebensgefühl vermittelt. Ich kann mir vorstellen, dass viele Leute in Zeiten voller Kreisen und Kriege, Sorgen und Nöte nach einem musikalischen Gegengewicht suchen. Nach einem lässigen, leichten Sound, bei dem sie mal abschalten können. Nach Liedern, die kein bisschen politisch sind und die ein positives, schönes Gefühl vermitteln. Disco war immer für die Tanzfläche gedacht. Diese Musik ist wunderbar, um sich mal kurz auszuklingen und die Sorgen zu vergessen.
Deine Lieder sind unpolitisch, aber hält sich auch Tino Piontek aus der Politik raus?
Nein. Ich habe eine politische Meinung und die verstecke ich auch nicht. Ich komme aus Dresden, also einer Stadt, die seit vielen Jahren mit einem politisch rechten Milieu in Verbindung gebracht wird. Mir bereitet der Rechtsextremismus und speziell die AfD sehr viel Unbehagen.
Tino, hat dir deine zwölfjährige Tochter eigentlich verziehen, dass du Taylor Swifts Anfrage nach einer Zusammenarbeit abgelehnt hast?
Meine Tochter hat mit Taylor Swift absolut nichts am Hut (lacht). Sie liebt Musik von Montez, Lea oder Nina Chuba. Selbst mein Sohn hat für seine acht Jahre schon einen coolen Geschmack, der steht total auf Kraftklub. Nur mit meiner Musik haben beide wenig am Hut. Von daher können sie gut damit leben, dass ich Taylor abgesagt habe.
Kannst du denn im Nachhinein auch gut damit leben?
Ich habe es jedenfalls nicht bereut. Die Sache wurde in den Medien auch größer gemacht, als sie ist. Mit Taylor selbst hatte das nichts zu tun. Die Anfrage kam im vergangenen Sommer, als ich mitten in der Albumproduktion zu Paradise steckte. Ich war total im Tunnel. Der Zeitpunkt war einfach ungünstig. Vielleicht bekomme ich ja in Zukunft nochmal die Chance zur Zusammenarbeit. Ich würde mich wirklich freuen.