Fantas for Life
„Wir wollten ein Album machen, das in erster Linie uns gefällt und in dem wir uns wiederfinden.“
„Wir sind einfach keine introvertierten Künstlertypen, die sich ein halbes Jahr wegschließen und mit was Tollem wieder rauskommen. Wir müssen rausgehen, das Leben leben, um darüber schreiben zu können.“
„Ich bin halt der Einzige, der sich von uns für Fashion und Style überhaupt interessiert. Die anderen vertrauen mir da. In Wirklichkeit mag ich natürlich ihr sympathisch-verlottertes Erscheinungsbild sehr gern.“
DIE FANTASTISCHEN VIER
Long Player
(Rekord/Tonpool)
Bereits erschienen
Die vier Schwaben – Smudo (56), Thomas D. (55), Michi Beck (56) und And. Ypsilon (56) - sind nicht nur eine Institution in der hiesigen Pop-Landschaft. Sie zeigen auf ihrem durchaus famosen neuen Album Long Player auch 35 Jahre nach ihrer Gründung und Hits wie Die da?!, Troy, MfGoder zuletzt Zusammen, was diese Band nach wie vor so einzigartig macht. Wir unterhielten uns mit Michi Beck.
Michi, deine Töchter sind 17 und zwölf Jahre alt. Was halten die Mädchen von eurem neuen Album?
Sie sind nicht mehr so krasse Fanta-Vier-Fans wie noch bei der letzten Platte, aber die ist ja auch sechs Jahre her. Im Moment hören sie eher ihr eigenen Sachen – Ariana Grande, oder junge Rapper wie Lucio 101 oder Reezy zum Beispiel. Ich bin aber auch gar nicht so ein Vorspieler wie Smudo oder Thomas, die ihren Familien unsere neue Musik immer gleich präsentieren. Ich warte lieber, bis die Kinder von selber neugierig werden. Ich zwänge ihnen nichts auf.
In jedem Fall gibt es auf Long Player für jedes Alter viel zu entdecken. Die neuen Songs klingen frisch und doch gleichzeitig ein bisschen oldschool. Was hattet ihr mit der Platte genau im Sinn?
Unser Ziel war es, einfach ‚real‘ zu sein, also echt und glaubwürdig. Wir wollten ein Album machen, das in erster Linie uns gefällt und in dem wir uns wiederfinden – natürlich in der Hoffnung, damit Gleichgesinnte zu finden. Es sind also natürlich Elemente aus dem zeitgenössischen Hip-Hop und der modernen Popmusik drin; trotzdem steht Long Player den Sounds der neunziger Jahre näher als dem, was aktuell so im Rap passiert.
44 Tausend erinnert ein wenig an Insane In The Brain, Win Win Win an die Beastie Boys. In Wie weit verarbeitet ihr zudem einen Songschnipsel der Berliner Band MiA. aus dem Stück Hungriges Herz, der auch schon zwanzig Jahre alt ist.
Ich würde sagen, fünfzig Prozent der neuen Musik bedient sich bei schon vorhandener Musik. Vor allem im Pop ist es doch irre, wie viel und was da alles zitiert wird. Jeder zweite Refrain, den ich beim Autofahren höre, kenne ich von früher. Das Samplen ist ein Stilmittel, dessen wir uns im Hip-Hop immer schon bedient haben. Mittlerweile scheint dieser Ansatz auf die gesamte Popmusik übergegriffen zu haben.
Weil die Musik früher einfach geiler war?
Gegen diese oft geäußerte Meinung wehre ich mich immer. Ich glaube nur dass sich in der Popmusik die Möglichkeiten irgendwann erschöpft haben. Alles wiederholt sich, nicht nur in der Musik, auch in der Kunst insgesamt wird sehr viel zitiert. Die letzte bahnbrechende Entwicklung war einfach Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre die Popularisierung der elektronischen Musik mit deren Hauptspielarten Hip-Hop und Techno. Als wir angefangen haben, haben sich ganz neue Genres in der Popmusik gebildet, es gab komplett neue Begriffe. Alles, was jetzt noch kommt, sind sozusagen Unterspielarten.
Seit eurem letzten Album Captain Fantastic sind sechs Jahre vergangen. Wie schwer fällt es denn euch selbst, den Fantastischen Vier noch neue, musikalische Facetten hinzuzufügen?
Long Player ist das Ergebnis einer sehr langen Schwangerschaft und einer komplizierten Geburt. Auch dieses Mal haben wir wieder mit ersten Fragmenten und Ideen angefangen, die so ein bisschen den Beginn einer neuen Produktion kennzeichnen. Aber das fühlte sich noch nicht so an wie „Wir machen ein neues Album“. Mit der gezielten Arbeit an der Platte haben wir vor ungefähr drei Jahren losgelegt. Eines der ersten Stücke war Wiedersehen, das schon während der Corona-Pandemie entstand und sich mit Angstzuständen befasst. Vor einem halben Jahr haben wir die Strophen, die während der Lockdown-Zeit entstanden, komplett überarbeitet und den Refrain über Bord geworfen, den nun unser Freund Seven aus der Schweiz singt.
Wie muss man sich diese Angstzustände vorstellen?
Kurz bevor es mit Corona losging, haben wir Ende 2019 mit der ganzen Familie ein Sabbatical in Spanien gestartet. Dort war der Lockdown viel krasser als in Deutschland. Die Kinder durften praktisch das Grundstück gar nicht mehr verlassen. Da beschäftigt man sich natürlich mit Ungewissheiten und Ängsten. Auch Weekendfeeling, das sich mit dem Bedürfnis beschäftigt, wieder feiern zu gehen, ist in dieser Zeit entstanden. Mehr aber auch nicht. Wir haben gemerkt, dass wir nicht die Band sind, die ein Album über Beklemmungen schreiben wollte. Wir sind einfach keine introvertierten Künstlertypen, die sich ein halbes Jahr wegschließen und mit was Tollem wieder rauskommen. Wir müssen rausgehen, das Leben leben, um darüber schreiben zu können.
Das Sabbatical lief jedenfalls ganz anders als geplant.
Allerdings, ja (lacht).
„Runter von der Couch, wir bauen für die Kinder was auf“, heißt es in Weekendfeeling. Auch 44 Tausend handelt von der Euphorie, die ein Konzert in euch auslöst. Und tatsächlich wart ihr in den vergangenen Jahren sehr ausgiebig auf Tour, und im Dezember geht es schon wieder los. Seid ihr vielleicht so ein bisschen livespielsüchtig?
Um ehrlich zu sein: Ja. Die Freude, live auf der Bühne zu stehen, ist einfach extrem greifbar und mit nichts zu vergleichen. Allerdings könnten wir es uns nicht vorstellen, eine reine Tingelband zu sein, die nur noch mit den größten Hits auf Tour geht. Es treibt uns schon an, auch neue Lieder live zu spielen. Das ist das Allerschönste. Und es dient auch unserem Broterwerb. So viele Streams, um mit neuer Musik signifikant Geld zu verdienen, werden wir wohl nie erreichen.
Wie kam die Giraffe aufs Albumcover?
Als der Titel feststand, wurden uns ganz viele Motive vorgeschlagen, die wir alle nicht mochten, weil sie uns unangenehm angeberisch vorkamen. Dann kam die Giraffe. Sie ist der wahre Longplayer auf Erden. Kein Tier hat einen solchen langen Hals, und kein Tier gibt es schon so lange, nämlich seit sechzehn Millionen Jahren.
Da könnt ihr noch nicht ganz mithalten. Bei euch sind es 35 Jahre, und es fällt auf, dass ihr textlich in der Zeit zurückreist. In 44 Tausend geht es ins Jahr 1991, in 5 Zimmer mit Badsogar noch drei Jahre weiter zurück.
Ja, wir beschäftigen uns mehr mit der Vergänglichkeit und dem Faktor Zeit als früher. Deswegen haben wir die Platte ja auch Long Player genannt. Es geht um das Bewusstsein, dass wir das schon über 35 Jahre lang machen, in derselben Besetzung. Und bei 44 Tausend vor allem darum, dass uns so viele Leute schon so lange begleiten.
Erreicht ihr denn auch noch neue Leute?
Bei unseren Shows im Sommer haben wir vor Troy immer gefragt, wer uns denn zum ersten Mal sieht. Und da waren jedes Mal rund die Hälfte der Arme oben, was uns positiv schockiert hat. Wir fragten uns „Wie kann uns jemand nach so langer Zeit zum ersten Mal sehen?“.
Und?
Ich denke, dass viele Kids durch The Voice Of Germany zu uns gestoßen sind, wo Smudo und ich schon ziemlich lange in der Jury sitzen. Aber es waren tatsächlich auch viele Leute jenseits der vierzig das erste Mal da. Das hat uns motiviert, unsere Geschichte in 5 Zimmer mit Bad auf Tonträger festzuhalten. Weil wir auch wirklich stolz darauf sind, wie lange wir das schon machen.
1991 kam euer erstes Album raus, 1992 euer Superhit Die da!?!.
Wir waren die erste Band, die ein vollständiges deutschsprachiges Hip-Hop-Album rausgebracht hat, 1991 mit Jetzt geht’s ab. Gerade für alle, die neu auf uns aufmerksam geworden sind, fanden wir es wert, das mal zu erzählen. 5 Zimmer mit Bad ist so ein bisschen das Manifest unserer Bandgeschichte.
Wie lange wollt ihr noch weitermachen?
Mit jeder Platte kommen wir der Möglichkeit näher, dass es unsere letzte ist. Man muss vorsichtig sein mit solchen Aussagen und wir sind nicht so drauf wie Howard Carpendale, der vier Abschiedstourneen nacheinander macht. Wenn wir so etwas entscheiden sollten, dann wollen wir uns hundertprozentig sicher sein.
Was heißt das konkret?
Es könnte sehr gut sein, dass Long Player unser letztes Album sein wird.
Sicher?
Nein. Ich habe auch vor 28 Jahren gesagt, dass ich mit 30 nicht mehr auf der Bühne stehen werde. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich behaupten will, ich werde mit über 60 nicht mehr auf der Bühne stehen. Ich werde im Dezember 57 und ich will mich nicht später Lügen strafen lassen.
Ist man irgendwann einfach zu alt, um noch aufzuhören?
Ja, genauso ist es. (lacht) Irgendwann ist es zu spät. Die Alternativen werden halt auch weniger.
Wann kam dieses Gefühl, dass es nicht mehr lohnt, Schluss zu machen, zum ersten Mal auf?
Bei mir war das vor mehr als zehn Jahren, als Smudo und ich dieses Thema bei einem Treffen mit unserem Manager Bär ansprachen. Wir hatten dieses Gefühl thematisiert, aber dann gemerkt, dass wir voreilig waren. Ein halbes Jahr später hatten wir dann auch wieder Bock und fingen wieder an, neue Musik zu produzieren.
„Wir gehen dem Ende entgegen“, rappt Thomas in Inferno. Ganz loslassen könnt ihr das Thema wohl nicht.
Klar, das kommt immer wieder mal auf. Wobei sich dieser Song mehr damit beschäftigt, dass es anfängt, dass wir Leute aus unserem Bekanntenkreis für immer verabschieden müssen. Das ist eher ein Lied, das sich mit dem Leben an sich befasst.
Als „Best friends for Life“ bezeichnet Smudo euch in 5 Zimmer mit Bad. Was macht diese Freundschaft zwischen euch so besonders?
Es ist wirklich so, dass unsere Beziehung über so ein „Man trifft sich und freut sich zu sehen“ hinausgeht. Das ist eher auf so eine Familienebene gerutscht. Die Familien, aus denen wir stammen, haben wir mit 18, 19 verlassen. Die Familien, die wir gegründet haben, die gibt es auch schon lange, aber eben nicht so lange wie es uns vier gibt. Wir teilen einfach wahnsinnig viel miteinander, wir kennen uns in- und auswendig.
Ihr wart schon als Jungs zusammen, heute seid ihr gestandene Männer.
Trotzdem hat sich gar nicht so viel geändert. Wir sind gemeinsam durch diese Lebensveränderung gegangen, vom Durchschnittsmittelschichtsteenie zum Popstar – das hat uns zusammengeschweißt. Ach, und dieser komische Pennälerhumor, den wir immer schon pflegen, der ist auch immer noch derselbe wie früher. Wir machen oft so Witze, bei denen wir denken, das sind jetzt die lustigsten Witze der Welt. Aber es kann gut sein, dass nur wir vier so empfinden.
Kannst du dir ein Leben ohne die anderen Fantas überhaupt vorstellen?
Nein! Selbst wenn wir beschlössen, dass wir nicht mehr auf Tour oder ins Studio gehen würden, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, die anderen nicht mehr ab und zu treffen zu wollen (grinst).
Der sehr ruhige, auch traurige Song Fliegen fällt auf diesem überwiegend sehr positiven und gutgelaunten Album aus dem Rahmen. Du singst den Text, in dem es um das Zerbröseln einer langen Beziehung und die Folgen für die ganze Familie geht, allein. Möchtest du mehr dazu sagen?
Nein, nicht wirklich. Nur, dass Fliegen ein sehr, sehr persönlicher Song ist. Mein Ziel ist eher, dass sich jemand in diesem Lied wiederfindet – so wie das schon Mitte der Neunziger bei Sie ist wegder Fall war. Allerdings empfinde ich Fliegen als deutlich tiefer. Alles weitere bleibt dem Interpretationsspielraum jedes einzelnen überlassen.
Für aktuelle Pop- und Rapmusik ist das Stück jedenfalls hochkomplex und anspruchsvoll.
Wir sind Meister im Beleuchten der Zwischenräume. Wir reden davon, dass das Leben schwierig ist, aber auch irgendwie geil. Ohne das werten zu wollen, aber Oberflächlichkeiten und Songs über Partys, schnellen Sex und das Äußere überlassen wir gerne anderen.
Aber handelt Wie weit nicht davon, was ihr zu tun bereit wärt, um euer Erscheinungsbild aufzupeppen? Das Video, wo ihr euch in einer Schönheitsklinik aus der Hölle behandeln lasst, ist extrem lustig aber auch verstörend.
Der Song selbst ist eher eine erwachsene Liebesgeschichte über jemanden, der schon zwei, drei Beziehungen hinter sich hat. Der Clip ist natürlich sehr überzeichnet und unsere Charaktere sind überspitzt dargestellt. Wir stellen die für uns relevante Frage, wie weit wir gehen, um jung zu bleiben, um weiter mitzuspielen. Wir sind mit Mitte 50 halt die Dinosaurier innerhalb dieser Jugendkultur, die nach wie vor die wohl relevanteste von allen ist. Aber keine Angst, niemand von uns hat vor, an sich herumschnippeln zu lassen (lacht).
Derjenige, der die anderen zu diversen Eingriffen nötigen will, bist du.
Naja, ich bin halt bei uns der, der immer ein bisschen auf die Klamotten achtet und sich um den Look der Band kümmert. Ich bin halt der Einzige, der sich von uns für Fashion und Style überhaupt interessiert. Die anderen vertrauen mir da. In Wirklichkeit mag ich natürlich ihr sympathisch-verlottertes Erscheinungsbild sehr gern (lacht).
Was auf Long Player ausgeklammert wird, ist das politische Geschehen. Weshalb?
Wir hatten auf dem letzten Album schon fast vorausschauend den Titel Endzeitstimmung gemacht. Obwohl die Lage damals noch gar nicht so schlimm war, wie sie unserer Meinung nach jetzt ist. Was die globalen Kriegssituationen, den Klimawandel, die wirtschaftliche Verfassung Deutschlands oder auch das Migrationsthema angeht, ist es im Vergleich zu 2018 ja nochmal deutlich brisanter geworden. Wenn wir wollten, hätten wir eine rein politische Platte machen können. Aber das sind wir nicht. Dafür haben Songs wie Gebt uns ruhig die Schuld oder eben Endzeitstimmung mehr Gültigkeit als je.
Unpolitisch seid ihr natürlich trotzdem nicht.
Nein, wir sind schon auch eine politische Band. Wir unterstützen seit zwanzig Jahren „Laut gegen Nazis“, wir haben kürzlich in Jamel bei „Rock den Förster“, einem Festival für Demokratie und Toleranz, gespielt. Wir finden das alles extrem wichtig. Aber momentan geht es uns in unserem Schaffen mehr darum, dass wir so ziemlich das einzige Sprachrohr unserer Generation sind. Die Babyboomer wie Grönemeyer, Westernhagen, Lindenberg sind zehn bis zwanzig Jahre älter, auch die Hosen oder die Ärzte sind schon über sechzig. Uns ist es wichtig, das Lebensgefühl der Mitte 40- bis Mitte 50-Jährigen musikalisch abzubilden und in Worte zu fassen. Das ist unser roter Faden.
„Sollte es uns irgendwann nicht mehr geben, werden unsere Lieder uns wiederbeleben“, heißt es im Titelsong. Wäre so eine Avatar-Show wie ABBAVoyage was für euch?
Die gibt es ja schon, das machen jetzt ABBA. Wir sind sehr technikaffin und immer an Innovationen interessiert. Aber mal sehen. Aktuell ist nichts geplant. Bis auf Weiteres gibt es uns noch in Fleisch und Blut zu erleben.
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